Die „Alternative für Deutschland“

Materialien zu Entwicklung, Inhalten und Anhängerschaft einer völkisch-nationalistischen Partei…

Von Hans-Peter Killguss

Während viele glaubten, die Alternative für Deutschland werde sich nach der Abwahl ihres früheren Bundessprechers Bernd Lucke im Juli 2015 zerlegen, hat sich die Partei zwischenzeitlich als rechte Agitations- und Bewegungspartei[1] etablieren können. Davon zeugen nicht zuletzt die Erfolge bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern im September 2016. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die Entwicklung und die Inhalte der AfD und ihrer Anhängerschaft gegeben werden.[2]

Auf dem Weg zur Bewegungspartei

Beiträge über die AfD haben eine kurze Halbwertszeit. Die AfD hat im Laufe der kurzen Zeit ihres Bestehens bereits mehrere Wandlungen durchlaufen. Dabei gab es immer verschiedene Flügel und Netzwerke innerhalb der Partei, die teilweise heute noch existieren.[3] Diese Strömungen, wie die konservativ oder die extrem rechts geprägte, sind jedoch nicht miteinander unvereinbar, sie bilden zusammen „die programmatische und elektorale ‚Gewinnerformel‘“[4] der AfD. Vereinfacht dargestellt lässt sich die Entwicklung in vier verschiedene Phasen einteilen[5]:

Die Anfänge: Gegen die Euro-Politik

„Als eine Partei neuen Typs“ bezeichnete Bernd Lucke die Afd bei ihrem Gründungsparteitag im Februar 2013, bei dem er zusammen mit Frauke Petry und Konrad Adam zu den Sprecher/innen gewählt wurde. Sie sei weder rechts noch links und brauche „keinen ideologischen Wegweiser“[6]

Die als alternativlos gepriesene Euro-Rettung sei ein komplettes Desaster, diese Verletzung ökonomischer Grundsätze wolle man stoppen. Auch wenn Lucke mit seiner hohen medialen Präsenz den Ruf der AfD als eine von Sachverstand geprägten „Professoren-Partei“ prägen sollte, bot diese nicht nur Heimat für von der Regierung enttäuschte Konservative, sondern auch ein Auffangbecken für Parteigänger von Rechtsaußen und ein Betätigungsfeld für christlich-fundamentalistisch geprägten Netzwerken wie dem Verein Zivile Koalition e.V..

Auch der „liberale“ Flügel zeigte sich offen für anti-demokratisches Gedankengut. Konrad Adam hatte 2006 Überlegungen zum Entzug des Wahlrechts für „Inaktive und Versorgungsempfänger wie Arbeitslose und Rentner angestellt.[7] Und Lucke selbst bezog sich (ausgerechnet im Rechtsaußen-Magazin Compact) positiv auf die rassistisch-biologistischen Thesen Tilo Sarrazins. Ihm gebühre „das große Verdienst, mit seinem Buch auf wichtige Missstände in Deutschland hingewiesen zu haben: Unsere Bildungsmisere, Integrationsprobleme von Zuwanderern, unser enormes demographisches Problem.“[8] Vom offen rechten Milieu wollte man sich jedoch abgrenzen.

Rechtsruck

Mit den Erfolgen bei den Landtagswahlen 2014 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, bei denen die AfD jeweils um die 10 Prozent der Wähler/innenstimmen auf sich vereinen konnte, bekam auch das völkisch-nationalistische Milieu größeren Einfluss. Dieses mobilisierte gegen den von Lucke und dem früheren AfD-Bundesvorstandsmitglied Hans Olaf Henkel vertretenen neoliberalen Kurs. In der von André Poggenburg (Sachsen-Anhalt) und Björn Höcke (Thüringen) initiierten Erfurter Resolution heißt es: „Zahllose unserer Mitglieder verstehen die AfD […] als Bewegung unseres Volkes gegen die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte (Gender Mainstreaming, Multikulturalismus, Erziehungsbeliebigkeit usf.)“ und „als Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“. Die Erfurter Resolution war auch als affirmativer Bezug auf PEGIDA zu verstehen, was bislang immer umstritten gewesen war. Beim Essener Parteitag im Juli 2015 wurde die Marschrichtung jedoch deutlich, als der nordrhein-westfälische Landessprecher Marcus Pretzell in einem Grußwort erklärte, die AfD sei auch die „Pegida-Partei“. Entscheidender jedoch war, dass bei diesem Parteitag – nach einem monatelangen innerparteilichen Machtkampf – Frauke Petry mit 60 Prozent zur ersten Sprecherin gewählt wurde. Bernd Lucke hatte in einer Kampfabstimmung nur 38 Prozent der Stimmen bekommen. Mit dem Sieg des rechten Flügels kam es zum Bruch mit dem (wirtschafts-)liberalen Flügel. Lucke und seine Anhänger verließen die AfD und gründeten die Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA), die zwischenzeitlich ein Dasein in der Bedeutungslosigkeit fristet.

Konsolidierungs- und Etablierungsphase als Bewegungspartei

In der Folgezeit stieg der Zuspruch zur AfD ständig – nicht obwohl, sondern weil sie als „parteipolitischer Kristallisationspunkt der neuen einwanderungsfeindlichen sozialen Bewegungen von rechts“ agiert[9]. Das Flüchtlingsthema prägt seit dem Merkelschen Postulat „Wir schaffen das!“ die öffentliche Diskussion und führt zu einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft. „Im Kontext der Pegida-Aufmärsche und deren Ablegern vollzieht die AfD mit Kampagnen und Demonstrationen gegen die Asylpolitik von Bundeskanzlerin Merkel die Metamorphose hin zu einer neuen rechten Bewegung.“[10] Mit den Wahlerfolgen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im März 2016 zeigte die Alternative für Deutschland, dass sie nicht nur im Osten, sondern auch im Westen als eine catch-all-Partei von rechts angekommen ist. In NRW steht die Partei nach aktuellen Umfragen bei etwa 11 Prozent und wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch in den Bundestag einziehen. Die aktuelle Herausforderung besteht im Spagat zwischen „rechter Fundamentalopposition und Entwicklung realpolitischer Handlungskompetenz“.[11]

Quer durch alle Schichten

© Redaktion Kein Veedel für Rassismus

Bei der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern machten 20,8 Prozent der Wähler/innen ihr Kreuz bei der AfD. Alle Parteien verloren Stimmen an die „Alternative“, insbesondere (prozentual gesehen) die NPD. Der größte Teil kommt jedoch, wie schon bei den vorherigen Landtagswahlen, von der Seite der Nicht-Wähler/innen.

Bei den Alterskohorten zeigt sich, dass die AfD besonders den Menschen zwischen 35 und 60 ankommt. Und es sticht heraus, dass sie vor allem von Männern gewählt wird. 29 Prozent der Arbeitslosen wählten AfD, sie punktet vor allem bei Wählern der mittleren und unteren Bildungsschicht. Die AfD ausschließlich als die Partei der prekarisierten Unterschichten zu zeichnen, ist jedoch grundfalsch. Auch bei den Arbeitern (33%) und Selbstständigen (27%) lag die AfD weit vorne.[12] Ähnliche Tendenzen zeigten sich schon bei den vorherigen Landtagswahlen.

Letztlich wird die Partei quer durch alle sozialen Schichten gewählt. Dass sich die Analysen zu den AfD-Wähler/innen teilweise widersprechen, ist Ausdruck davon, dass auch die Anhänger/innenschaft nicht unbedingt ein stabiles Milieu abbildet, sondern ein ebenso fluides Gebilde wie die Partei selbst ist. Die Alternative für Deutschland sei eine Partei der Besserverdienenden, ein Drittel der Sympathisanten gehören zum reichsten Fünftel der Bevölkerung, weniger als zehn Prozent der AfD-Anhänger machen sich große Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation – so lautete das Fazit einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln im April 2016.[13] Nur wenige Monate später ließ das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung auf Basis von Daten des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP) verlauten: Die AfD sei vor allem für Personen mit geringer und mittlerer Bildung interessant. Auch neigten Personen der Partei zu, die angegeben hätten, sich große Sorgen um Zuwanderung, aber auch die wirtschaftliche Lage im Allgemeinen und die eigene finanzielle Situation zu machen.[14]Aufschlussreich an letztgenannter Studie ist das Ergebnis, dass die AfD immer mehr Wähler rechtsextremer Parteien an sich bindet sowie Personen, die sich auch tatsächlich als politisch rechts oder sehr rechts verorten.

Die Alternative für Deutschland wird – und dies bleibt ein nicht unbedeutender Punkt für die Entwicklung von Gegenstrategien – nicht nur aus Protest, sondern auch für ihre Inhalte gewählt. Jeder zweite Wähler in Mecklenburg-Vorpommern sagte, „er wähle die Partei wegen der politischen Forderungen.“[15]

Ausschlaggebend für die Hinwendung zur AfD ist nicht allein die ist nicht materielle Lage, sondern vielmehr die Frage, wie Abstiegs- und Zukunftsängste verarbeitet werden. Die AfD-Wähler/innen sehen sich als Benachteiligte, deren Interessen und Leistungen von der Politik nicht ausreichend berücksichtigt würden. So scheinen die „Narrative der AfD – durch Großkonzerne und Banken, EU und Euro bedrohte nationale Souveränität und durch Migration bedrohtes ‚Volk‘ – aktuell in der Lage, milieuübergreifende Verbindungen herzustellen und Zugehörige unterschiedlicher sozialer Milieus anzuziehen.“[16]

Dass das Potential für rechtspopulistische Parteien noch größer ist, als es die Wahlergebnisse bislang zeigen, darauf verweisen die so genannten Mitte-Studien sowie die Untersuchungen zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die schon seit Jahren ein erhebliches Ausmaß an rassistischen und demokratiefeindlichen Einstellungen in der deutschen Gesellschaft aufzeigen.[17]Andreas Zick sieht das Potential vor allem in den bürgerlichen, gut situierten Mittelschichten: „Hier erreicht die Propaganda viele Bürger in ihren Vorurteilen gegen die Einwanderung, in ihren vermeintlichen Vor-rechten als Einheimische, aber auch in autoritären Sicherheitsvorstellungen.“[18] Die Autoren der Leipziger Mitte Studie verweisen auf die milieuübergreifende politische Deprivation: „Die gesellschaftlichen und rechtlichen Entwicklungen, wie etwa das liberalere Staatsbürgerrecht, wird nicht von allen Teilen der Bevölkerung getragen. […] Bei diesen Gruppen hat das Vertrauen in gesellschaftspolitische Einrichtungen wie die Polizei oder Parteien deutlich nachgelassen. Sie fühlen sich vom politischen System nicht repräsentiert.“[19]

„Der Islam gehört nicht zu Deutschland“

Mit dem Rechtsruck in der Partei gewann auch die Kritik am Islam zunehmend an Bedeutung, sodass diese zwischenzeitlich zu den zentralen Themen gehört. Der Aussage „Ich finde es gut, dass sie [die AfD – d. A.] die Ausbreitung des Islam in Deutschland verhindern will“ stimmten 45 Prozent aller Wähler/innen in Mecklenburg-Vorpommern und 95 Prozent der AfD-Sympathisant/innen zu.[20] Kampagnen gegen den Islam und gegen Muslime gelten schon lange als eines der Erfolgsrezepte für die Propaganda von Rechtsaußenparteien in ganz Europa. War früher in diesen Kreisen die platte Parole „Ausländer raus“ Ausdruck eines dumpfen Rassismus, so versteckt sich dieser nun hinter populistischen Parolen zur Verteidigung von „deutscher Leitkultur“ und „christlichem Abendland“, gegen „Moscheebau“ und „Islamisierung“. Der Islam wird als eine gewaltförmige und archaische „Ausländerreligion“ dargestellt, für die es in den europäischen Gesellschaften angeblich keinen Platz gebe. Solche Ansichten sind weit verbreitet und durch öffentliche Debatten gefördert, die Konflikte in Begrifflichkeiten des Ethnischen ausdrücken. Daher stellt die Agitation gegen den Islam für extrem rechte wie auch rechtspopulistische Gruppen einen öffentlichkeitswirksamen Versuch dar, antimuslimischen Rassismus gesellschaftsfähig zu machen. Denn in den öffentlichen Auseinandersetzungen beispielsweise um Moscheebauten werden zugleich die Herausforderungen der Einwanderungsgesellschaft sichtbar. Dies nutzt auch die AfD: „Das Minarett lehnt die AfD als islamisches Herrschaftssymbol ebenso ab wie den Muezzinruf“ heißt es im Programm. Zwar wird von den Funktionären allenthalben betont, dass nicht alle Muslime unter Generalverdacht gestellt würden, doch Forderungen wie die von Alexander Gauland nach einem generellen Einreiseverbot für Muslime nach Deutschland, sprechen eine andere Sprache. Der Parteivizechef hatte immer wieder betont, dass der Islam ein Fremdkörper in Deutschland sei. Das im Mai 2016 beschlossene Programm der Alternative für Deutschland sagt dann auch ganz klar: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“. Als beim Parteitag in Stuttgart, bei dem das Programm diskutiert wurde, ein Delegierter zum Dialog mit den muslimischen Religionsgemeinschaften aufrief, wurde er ausgepfiffen.[21]

Die AfD erzeugt ständig Bilder der Fremdheit, bei denen Muslime als potentielle Bedrohung dargestellt werden: So werden im Faltblatt „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, das im „AfD-Fanshop“ zu erwerben ist, muslimische Frauen ausschließlich in Vollverschleierung (Niqab) gezeigt. Entsprechend heißt es gleich im ersten Abschnitt: „Ein Euro-Islam ist nicht in Sicht. Vielmehr tendieren gerade die jüngeren Generationen verstärkt zum Fundamentalismus.“

Probleme wie religiöser Fundamentalismus, Verletzung von Menschenrechten und sogenannte „Integrationsdefizite“ sind real. Doch sie pauschal „den Muslimen“ anzulasten und diese unter Generalverdacht zu stellen, erzeugt Ängste und Ablehnungen.

„Flüchtlingskrise als Geschenk“

Hatte die Alternative für Deutschland anfangs noch eine erleichterte Arbeitserlaubnis für Asylbewerber/innen gefordert, entwickelte sie sich mehr und mehr zu einer Partei, die sich durch die Inanspruchnahme des Flüchtlingsthemas „ein politisches Alleinstellungsmerkmal als Anti-Einwanderungs-Partei“[22] verschaffen konnte. „Natürlich verdanken wir unseren Wiederaufstieg in erster Linie der Flüchtlingskrise“[23], gab Alexander Gauland im Dezember 2015 gegenüber dem Spiegel offen zu. „Man kann diese Krise ein Geschenk für uns nennen“, so der Vize-Bundessprecher. „Sie war sehr hilfreich.“ Die Agitation gegen Geflüchtete geht einher mit der Brandmarkung der politischen Klasse, insbesondere der CDU unter Angela Merkel, die für das „Asyl-Chaos“ verantwortlich gemacht wird. Ein „ideologisch vergiftetes Klima der ‚politischen Korrektheit‘“ führe dazu, dass vom „Versagen der Asyl- und Einwanderungspolitik der vergangenen Jahre durch die herrschenden Parteien abgelenkt“ werde, heißt es im Parteiprogramm. Die Abgrenzung von „wir da unten“ gegen „die da oben“ steht immer in Zusammenhang mit der Abgrenzung „wir“ gegen „die Anderen“, also das Innen gegen das Außen. Gemeint sind damit „die Fremden“ oder konkret: die Geflüchteten.

Auf den Internet- und Facebookseiten aller Gliederungen der AfD sind Meldungen zu diesem Thema mit einem Duktus des Kampfes gegen das „Versagen der Altparteien“ durchzogen.[24] Der Politik wird allgemein unterstellt, Fakten umzudeuten, zu verschweigen oder direkt zu lügen: in Anbetracht des herrschenden „Asyldrangs“ steige die „Kriminalitätsrate […] für die Menschen spürbar an, nur offizielle Zahlen verzerren augenscheinlich aufgrund politischer Interessen die Realität“[25], behauptet der Landesverband NRW. So perpetuiert die AfD fortlaufend die rechtspopulistische Erzählung von „Volk versus politische Elite“.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern zeigte sich, dass die Flüchtlingspolitik für die AfD-Sympathisant/innen das bestimmende Thema war, etliche sich von Fakten (z.B. der Tatsache, dass von Januar bis Ende Juli 2016 nur knapp 5.000 Asylsuchende nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen waren) jedoch nicht beeindrucken ließen. „Die Regierung belügt uns ja sowieso“, so der durchgängige Tenor einiger beispielhaften Interviews in einem Spiegel TV-Beitrag.[26]

Die AfD verknüpft die Flüchtlingsfrage mit der Religion und suggeriert eine Gefahr durch eine vermeintlich fremde muslimische Kultur: Geflüchtete = Islam = Islamismus = Bedrohung lautet dabei die rassistische Gleichsetzung. Deutlich wird das auch bei der Jungen Alternative (JA), der Jugendorganisation der AfD, die zwei Tage nach dem islamistisch motivierten Axt-Angriff in einem Zug bei Würzburg das zynische Bild eines „Refugee Starter Kits“ postete: Ein Handwerkskasten, in dem ein Hammer, eine Zange und eine Axt zu sehen sind.

Die massenhaften sexuellen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht wurden von fast allen Spektren der extremen und der populistischen Rechten instrumentalisiert und propagandistisch aufbereitet. Auch die AfD forderte harte Maßnahmen, etwa „Durchgreifen statt Deeskalation“. Als „Lösung“ gegenüber „nicht-deutschen“ Straftätern präsentiert die Partei die Parole „Grenzen dicht!“. Ende Januar forderte die AfD im Kölner Stadtrat einen Aufnahmestopp für Asylsuchende für die Stadt Köln. Köln müsse, so der Fraktionsvorsitzende Roger Beckamp, aktuell auf Platz zwei der Landesliste für die Landtagswahl in NRW 2017, „nach den Vorfällen an Silvester nun mit gutem Beispiel vorangehen“[27]. Die Silvester-Ereignisse werden auf eine „Kultur der Verachtung und der Erniedrigung von Frauen durch muslimische Männer“ zurückgeführt. „Wenn wir uns dieser Kultur durch Verhaltensregeln und Nachgiebigkeit anpassen, haben wir schon verloren“[28], so der Fraktionsgeschäftsführer Thomas Traeder. Damit bedient er eine ethnisierende Deutung der Übergriffe. Das Konstrukt der „eingewanderte[n] Rape Culture“ wird zu einer generellen Gefahr für ein unbestimmtes „Wir“. Diese Zuschreibungspraktiken weisen Zugehörigkeit zur Gesellschaft beziehungsweise zur Nation zu und festigen die Differenz zwischen einem „Wir“ (= Zugehörige) und einem „Sie“ (= Nicht-Zugehörige).

Wie weit die Provokation beim Thema Geflüchtete gehen kann, zeigt Junge Alternative in Thüringen, die im Januar 2016 ein Schwarz-Weiß-Foto gepostet hatte. Darauf zu sehen ist ein ausgestreckter Arm, die Hand hält eine Pistole. Hinzugefügt war der Satz: „Wenn die Politik nicht handelt, halten die Menschen vielleicht in Zukunft wirklich eine ‚Armlänge Abstand‘, Frau Reker.“ Die Jugendorganisation nahm damit Bezug auf ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die in einer Pressekonferenz nach Tipps gefragt worden war, wie Frauen sich vor sexualisierten Übergriffen schützen könnten. Die Staatsanwaltschaft Gera prüfte, ob es sich bei dem Foto der JA um einen öffentlichen Aufruf zu Gewalttaten handele, konnte jedoch keine Strafbarkeit feststellen.

Die Nation deutet die AfD um in ein homogenes Volk mit einem Volkswillen. Dies kommt auch in dem Vorstoß Frauke Petrys zum Ausdruck, die dafür eintrat, den Begriff „völkisch“ wieder positiv zu besetzen.[29] Der Rückgriff auf die in der extremen und nazistischen Rechten und vor allem historisch besetzten Terminologie ist kein Einzelfall in der AfD: André Poggenburg, Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt, beschied im Dezember 2015 über Facebook seinen Mitstreitern, dass das Weihnachtsfest die rechte Zeit, um einmal über „gemeinsame Werte“ und „Verantwortung für die Volksgemeinschaft“ nachzudenken. Der Begriff der „Volksgemeinschaft“ impliziert die Vorstellung einer organischen Gemeinschaft, die sich nicht nur durch kulturelle, sondern auch durch biologische Merkmale von anderen Völkern unterscheidet. Worin diese Unterschiede bestehen, trug Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag, bei einer Tagung des neurechten Think Tanks Institut für Staatspolitik im November 2015 vor: „Die Evolution hat Afrika und Europa – vereinfacht gesagt – zwei unterschiedliche Reproduktionsstrategien beschert.“ Solange „wir“ bereit seien, den afrikanischen „Bevölkerungsüberschuss“ aufzunehmen, werde sich am Reproduktionsverhalten der Afrikaner nichts ändern.“[30] Höcke insinuiert hier zwei homogene Großgruppen, diesen werden (vererbbare) Eigenschaften zugesprochen und damit Privilegien zu- beziehungsweise aberkannt. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass die AfD Differenz zumeist mit Kultur begründet und weniger mit einer „Rassentheorie“[31]. Doch setzt die Alternative für Deutschland die Herkunft fast immer als Bestimmung – egal ob sie nun biologisch oder kulturell begründet wird.

Dass neben der Hetze gegen Geflüchtete und dem pseudowissenschaftlich-bioligistischen Rassismus auch der „ganz normale Alltagsrassismus“ bei der AfD beheimatet ist, stellt die AfD immer wieder unter Beweis. Exemplarisch zeigt sich das an der Einlassung von Alexander Gauland zu Jérôme Boateng, den „die Leute“ angeblich nicht als Nachbarn haben wollten. Weniger prominent und dennoch typisch sind Aussagen wie die der Sprecherin des Kreisverbandes Lüdenscheid, Marga Kreinberg: „Um in Lüdenscheid durchzukommen, muss man inzwischen ja Russisch oder eine andere Fremdsprache können.“[32] Hier wird der Angst erzeugende Topos von den Deutschen als einer aussterbenden Minderheit bedient. Und ein drittes Beispiel: Der Freiburger Rechtsanwalt Dubravko Mandic sitzt im Landesschiedsgericht der AfD Baden-Württemberg, ist Mitglied der Jungen Alternativen, im Bundesvorstand der Patriotischen Plattform, einem Zusammenschluss auf dem rechten Flügel der AfD und steht der extrem rechten Identitären Bewegung nahe. US-Präsident Obama hat Mandic wiederholt als „Quotenneger“ bezeichnet und auf Kritik hin die Aussage als nicht beleidigend verteidigt.[33] Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Partei des kleinen Mannes?

Lange Zeit galt die AfD als eine Partei, die dem Neoliberalismus das Wort spricht. Auch heute noch unterstützen führende Mitglieder marktradikale Vereinigungen wie etwa die Friedrich von Hayek-Gesellschaft e. V. Das zeigt sich auch in Köln.[34]

In Programmen (beispielsweise im Landesprogramm Rheinland Pfalz) fordert die AfD „Mut zur Leistung“. „Je mehr Wettbewerb, […] desto besser für alle“, heißt es im Bundesprogramm. Konkurrenz sorgt aus dieser Perspektive für Effizienz und Motivation. Dahinter steckt eine Haltung, die den Markt als Ort eines wechselseitigen Austausches eigeninteressierter Individuen begreift. Im blinden Spiel der Marktkräfte entsteht eine sich selbst regulierende Ordnung. Wird ein Misserfolg am Markt auf persönliche Defizite oder auf die vermeintlichen Charaktereigenschaften ganzer Gesellschaften zurückgeführt („faule Griechen“) findet „die Ideologie des freien Marktes […] ihren Anschluss an Nationalismus und Wohlstands-Chauvinismus.“[35]

In dieser Logik stellen „die Verlierer“ eine mögliche Belastung der Leistungsträger dar. So finden sich in der AfD auch Drohungen gegenüber den als Unproduktiv Markierten: „Wer arbeiten kann, muß arbeiten. Solidarhilfe gibt es somit nur, wenn man der Solidargemeinschaft im Rahmen seiner Möglichkeiten auch eine Gegenleistung erbringt“ [36], so der ehemalige Sprecher der AfD in NRW, Hermann Behrendt. Vorbilder dafür gebe es viele. In Deutschland habe das bisher der fehlende politische Wille verhindert. „Man scheut den Vorwurf der ‚Zwangsarbeit’“. Behrendt, der die AfD inzwischen wieder verlassen hat, fabuliert auch über die „Migration der Falschen“, die vielfach auch als „Zuwanderung in die sozialen Netze“ bezeichnet werde.[37]

In dem Auftreten der meisten Funktionäre inszeniert sich die AfD gerne als Vertreter des „kleinen Mannes“ und profitiert dabei von den Abstiegsängsten großer Teile der Mittelschicht und denjenigen, die von den gesellschaftlichen Entsolidarisierungsprozesse im Kontext neoliberaler Deregulierung betroffen sind. Die Widersprüche innerhalb der AfD sind in der Sozialpolitik besonders groß und zeigen sich deutlich an der Auseinandersetzung um den Mindestlohn. „Kaum ein anderes Feld spiegelt mehr den Widerstreit zwischen Sehnsucht nach marktradikaler Utopie und pragmatischem Kalkül zur Wählermobilisierung in der Gruppe der einkommensschwachen, abhängig Beschäftigten innerhalb der Partei wider.“[38]Es verwundert nicht, dass Bernd Lucke und seinen Anhängern der Mindestlohn in ganz Europa als Hindernis bei der Liberalisierung und Privatisierung des Arbeitsmarktes galt. Doch auch Frauke Petry fand noch im April 2015, dass es höchste Zeit sei, „die Macken […] dieses Jobkiller-Gesetzes […] zu beheben.“[39] Ein Jahr später wurde beim Bundesparteitagtag in Stuttgart nach langen Auseinandersetzung beschlossen: „Der gesetzliche Mindestlohn […] korrigiert im Bereich der Entlohnung die Position der Niedriglohnempfänger als schwache Marktteilnehmer gegenüber den Interessen der Arbeitgeber als vergleichsweise starke Marktteilnehmer.“ Die Begründung verweist auf die alle programmatischen Aussagen der AfD umfassende Klammer der Angst vor Zuwanderung: Der Mindestlohn, so heißt es, schütze die Arbeitnehmer „auch vor dem durch die derzeitige Massenmigration zu erwartenden Lohndruck.“ Im Bereich der Leiharbeit und beim Arbeitslosengeld besteht ebenfalls an vielen Stellen ein Widerspruch zwischen Forderungen zu Flexibilisierung und Bürokratieabbau für Unternehmen und in andere Richtungen weisenden öffentlichen Aussagen von Funktionären.[40]

Die AfD fordert die Abschaffung des progressiven Steuersatzes zugunsten eines Einkommensteuertarif mit wenigen Stufen – ein Modell, das sich an das Konzept von Paul Kirchhof anlehnt und das vor allem Höherverdienende entlasten und aufgrund von Einnahmenausfällen für den Staat die öffentlichen Haushalte massiv belasten würde. Die Erbschafts- und Vermögenssteuer will die Partei ganz abschaffen; eine radikale Forderung, die sich in dieser Form bei anderen Parteien nicht findet und die als ein „noch viel klareres Zugeständnis an Reiche und Firmen“[41] gewertet werden kann. So sind Aussagen wie die von Alexander Gauland, dass die AfD „auch eine Politik für den kleinen Mann machen“ und „so viel soziale Gerechtigkeit wie möglich“ umsetzen müsse[42], vor allem als Signale an die eigene Klientel zu werten, die nicht verprellt werden soll. Dass viele derjenigen, die bei den letzten Landtagswahlen der AfD ihre Stimme gegeben haben, „von ihr nicht profitieren würden“[43] ist objektiv richtig, doch lassen sich soziale Positionen nicht bruchlos in Wahlpräferenzen übersetzen. Dafür ist auch der symbolische Wert der Partei ausschlaggebend, der sich an ihren anti-elitären, anti-egalitären und anti-pluralistischen Ansätzen festmacht. „Wer sich auf diese Seite schlägt, bei dessen Entscheidung spielt die materielle Lage, egal ob sie gut oder schlecht ist, nicht die ausschlaggebende Rolle.“[44] Björn Höcke versteht die „neue deutsche Soziale Frage des 21. Jahrhunderts“ vor allem als Problem „der Verteilung des Volksvermögens von innen nach außen“[45]. Mit dieser Sündenbocktheorie, nach der ökonomische Probleme vor allem auf das „Fremde“ zurückzuführen sind, lassen sich die unterschiedlichsten sozialen Milieus ansprechen.

Familie als „natürliche Lebensgemeinschaft“

Die AfD ist eine Partei der kulturkonservativen Männer – darauf deuten zumindest die Analysen der Wählerbefragungen hin. Andererseits wird die AfD in Gestalt von Frauke Petry und der stellvertretenden Bundesvorsitzenden Beatrix von Storch durch prominente Frauen repräsentiert. Zwar kommt eine Untersuchung der Heinrich-Böll-Stiftung zu dem Ergebnis, dass es kaum Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Sympathisant/innen der AfD gebe (Frauen seien etwas weniger konservativ eingestellt, nähmen aber gerade in integrations- und wirtschaftspolitischen Fragen eine vergleichbar rechte Haltung ein)[46], doch dürften solche Studien, die auf Daten aus 2013 beruhen, aufgrund der schnellen Wandlung der AfD inzwischen schon wieder als veraltet gelten.

Nach den Silvester-Ereignisse positionierte sich die AfD als Hüterin von Frauenrechten. Auch auf Großplakaten, die der AfD im Wahlkampf gesponsert wurden, wurde darauf Bezug genommen: „Köln – Stuttgart – Hamburg: Mehr Sicherheit für unsere Frauen und Töchter“, hieß es in einem Plakatmotiv. Frauke Petry schrieb in einer Stellungnahme, sie warte „noch immer auf den medialen und gesellschaftlichen Aufschrei über einen massenhaften Missbrauch von Frauen, der an rechtlose Zustände zum Kriegsende erinnert.“ Der „Schutz von Frauenrechten in unserem Land“ sei nicht mehr gewährleistet.“[47] Schelte hat sie für „die selbsternannten links-grünen Frauenrechtlerinnen“ übrig. Diese nähmen „bewusst in Kauf, einer frauenfeindlichen und fundamental religiös motivierten Gesellschaftskultur den Weg nach Deutschland und Europa zu ebnen und gefährden damit die über Jahrhunderte seit der Aufklärung erkämpften Frauenrechte und unsere freiheitlich demokratische Grundordnung.“[48] Die AfD positioniert sich zumeist dann für Frauenrechte, wenn sie diese einer anderen (fremden) Kultur gleichzeitig absprechen kann. Die Markierung des Anderen als sexistisch, zeichnet spiegelbildlich das Selbst als aufgeklärt und fortschrittlich. Die explizit antifeministischen Äußerungen scheinen nicht als Widerspruch zum liberalen Selbstbild wahrgenommen zu werden. 2014 hatte die Junge Alternative eine Kampagne initiiert, bei der junge Männer und Frauen in einem Video selbstgemalte Schilder hochhielten und erklärten, warum sie kein Feminist oder Feministin seien. „…weil Hausfrau sein auch ein Beruf ist“, lautete eine der Erklärungen.

Mit der Zuweisung zu traditionellen Rollen inszenieren sich die Anhänger/innen der AfD als Verteidiger konservativer bis reaktionärer Geschlechter- und Familienvorstellungen. Ehe und Familie seien „Keimzellen der bürgerlichen Gesellschaft“, so heißt es im Grundsatzprogramm der AfD. Das Gender Mainstreaming, dem die AfD den Kampf angesagt hat, untergrabe die Familie als wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit. Im Verständnis der AfD zielt Gender Mainstreaming (eigentlich eine Strategie, die versucht, die Interessen von Frauen und Männern gleichberechtigt zu berücksichtigen) darauf ab, die Geschlechteridentitäten aufzuheben. Der als „Genderismus“ diffamierte Ansatz gilt der AfD als Ausdruck einer Tyrannei der political correctnes. Bei einer AfD-Demonstration im Februar 2016 in Siegburg beschrieb Christine Anderson, Sprecherin des AfD-Kreisverbands Limburg-Weilburg (Hessen) in ihrer Rede, dass Gender Mainstreaming zur Diktatur führe, da es den Familienverbund auflöse. Mit der Charakterisierung der Familie als „einzige natürliche Solidargemeinschaft“ sandte Anderson auch die Botschaft, was als „nicht natürliche“ Lebens- und Solidargemeinschaft gilt. Die Alternative für Deutschland erklärt permanent die heteronormative Ordnung der Geschlechter als „natürlich“ und bedient damit homophobe Stimmungen – trotz der „Bundesinteressengemeinschaft Homosexuelle in der AfD“ und der Tatsache, dass es unter den Funktionären auch bekennende Homosexuelle gibt.

Die AfD-Positionen zu Abtreibung und Geburtenkontrolle sind christlich-fundamentalistisch geprägt. Abtreibungen will die Partei laut Programm so schwer als möglich machen. Die Partei stehe für eine „Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene“. Die AfD verfolgt dabei auch ein bevölkerungspolitisches Ziel. „Mehr Kinder statt Masseneinwanderung“ lautet der Slogan. Petry hatte bereits 2014 im sächsischen Wahlkampf mit der Äußerung, eine „normale deutsche Familie“ solle drei Kinder haben, für Irritationen gesorgt und schon damals die „Debatte um ein Fischen der Partei nach Wählerstimmen am rechten Rand befeuert. Die deutsche Politik habe ‚eine Eigenverantwortung, das Überleben des eigenen Volkes, der eigenen Nation sicherzustellen’, erklärte Petry.“[49]

Mit der Rhetorik natürlicher Geschlechterrollen und der Kritik an jeder Form von Gleichstellungspolitik produziert die AfD nicht nur inhaltliche Anschlüsse zu völkischen Gesellschaftsidealen[50], auch organisatorisch bildet sie eine „Scharnierfunktion zwischen extremer, konservativer und religiöser Rechter mit Verbindungen bis weit in den bürgerlichen Mainstream.“[51]

Denkmäler statt Mahnmale

In der extremen Rechten sind die Bezüge auf Geschichte und Geschichten omnipräsent. Analytisch lassen sich drei Motive unterscheiden.[52] Die Indienstnahme von Geschichte als identitätsstiftendes (überzeitliches) Narrativ, die Präsentation eines Wahrheit behauptenden Narrativs über die „deutsche Geschichte“ und schließlich – in Bezug auf die NS-Geschichte – eine Täter-Opfer-Umkehr und Relativierung der Verbrechen. Kritische Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust werden mit Begriffen wie „Nationalmasochismus“, „Selbsthass“ und vor allem „Schuldkult“ versehen. Die Rede vom „Schuldkult“ hat das neonazistische Milieu längst verlassen und wird auch von anderen Akteuren der (extremen) Rechten wie selbstverständlich benutzt: 2007 legte das Institut für Staatspolitik, das als ein wichtiger Stichwortgeber für den jungkonservativen Teil des AfD-Milieus dient[53], eine Schrift in ihrer „wissenschaftlichen Reihe“ vor mit dem Titel: „‚Meine Ehre heißt Reue‘. Der Schuldstolz der Deutschen“. Die Junge Freiheit, die das „Projekt einer politischen Partei rechts von der Union von Anfang an unterstützt und sich als ein offizielles Sprachrohr der Partei zur Verfügung gestellt“[54] hatte, benutzt den Begriff regelmäßig in ihrer Berichterstattung über Gedenkveranstaltungen oder geschichtspolitische Debatten. Und auch auf der Bühne von PEGIDA ist der Begriff angekommen. Am geschichtsträchtigen 9. November 2015 erklärte die Hauptrednerin der Abschlusskundgebung, die Mitbegründerin der Hamburger AfD und OB-Kandidatin in Dresden, Tatjana Festerling, zunächst minutenlang, wie umfangreich das Angebot an Ratgeberliteratur zum Thema „Loslassen“ sei, um dann die versammelten, mehr als 8.000 Zuhörerinnen und Zuhörer auf dem Theaterplatz in Dresden zu fragen:

„Seid Ihr bereit, hier bereit, loszulassen? [„Ja“-Rufe] Dann erklären wir doch hier und heute, am 9. November 2015, 70 Jahre nach dem Kriegsende, den deutschen Schuldkomplex der zwölfjährigen Naziherrschaft offiziell für beendet. [Beifall] Denn ja, auch wenn es um unsere Geschichte geht, um Furchtbares, das bis heute traumatische Spuren in Familien, in Völkern, hinterlässt, auch dann gilt die Psychologie der Ratgeberbranche: Wir lassen die Vergangenheit jetzt los. Und deshalb ist Schluss mit der künstlichen Naziparanoia. [Beifall] Und ihr da beim Stern, beim Spiegel, der Süddeutschen, Tagesspiegel und wie die linksversifften Schundblätter noch alle heißen. [„Buh“-Rufe] Und natürlich auch hier bei den von erpresstem Geld finanzierten GEZ-Sendern, bei NTV, N24 RTL und so weiter: Ab sofort könnt ihr euch eure Hitlerei an den Hut stecken. [Beifall] […] Und wenn ihr eure Hitlerfantasien und eure Naziobsession nicht in den Griff bekommt, dann macht THE-RA-PIE! [Beifall] Aber lasst uns mit euren Schuldkult, mit der Vergangenheit, für die keiner von uns hier die Verantwortung trägt, endlich in Ruhe.“[55]

Vordergründig handelt es sich bei Festerlings Rede um eine Form der Erinnerungsabwehr, der wohl auch ein sekundärer Antisemitismus attestiert werden darf.[56] Doch ist die Wortmeldung auch im Zusammenhang mit der eigentlichen Themensetzung von PEGIDA und AfD zu sehen und folgt einer Logik, die sich so ebenfalls bei ähnlichen Akteuren am rechten Rand finden lässt: Wegen des „deutschen Schuld-Kultes“ dürfe nicht über die in ihrer Wahrnehmung drängenden Probleme („Flüchtlingskrise“, „Überfremdung“, „Islamisierung“) gesprochen werden. Entsprechend werde ein eigentlich notwendiges politisches Handeln, das auf Abwehr und geschlossene Grenzen zielt, verunmöglicht. Dies wurde auch bei einer Veranstaltung der AfD am 4. August 2016 in Köln-Nippes deutlich, als der Sprecher der Nippeser AfD die Stoßrichtung des Abends vorgab mit der Erzählung eines Kollegen, der behauptet habe, man müsse die ganzen Flüchtlinge ausnahmslos aufnehmen weil die Deutschen zwei Weltkriege vom Zaum gebrochen hätten. Dies sei repräsentativ für die „Grundstimmung in unserem Land“. Daher sei eine Veranstaltung wie die der AfD, die unter dem Motto „Der deutsche Schuldkomplex – Auswirkungen auf die Politik der Altparteien“ stand, notwendig. Die Ausführungen des Hauptredners, Martin Hohmann, ehemaliges Mitglied der CDU und nun bei der AfD, liefen im Wesentlichen darauf hinaus, die deutsche Schuld an Holocaust und Kriegsverbrechen zu relativieren. Der „Schuldkult“ der Deutschen sei eine „zivile Ersatzreligion“, welche die Meinungsfreiheit gefährde. Hohmann endete wie folgt: „Wir kuschen nicht vor einem Geschichtsbild, das uns die Sieger aufzwingen wollten und ihre heutigen Hofschranzen aus den Altparteien aufrecht erhalten wollen. […] Die Wahrheit wird uns frei machen, hoffentlich auch von Angela Merkel.“[57]

Während Funktionäre der Alternative für Deutschland immer wieder Begrifflichkeiten in den Diskurs einspeisen, die vom Nationalsozialismus (mit)geprägt sind (völkisch, Volksgemeinschaft usw.), hatte sie anfangs einen offenen Antisemitismus in weiten Teilen abgelehnt. So wurde der Schatzmeister des hessischen Landesverbandes 2013 seines Amtes enthoben, nachdem seine antisemitischen Einlassungen bekannt wurden. Nur durch die Ablösung des gegenwärtigen politischen Systems, fabulierte er bei Facebook, „können wir die satanischen Elemente der Finanz-Oligopole von den westlichen Völkern wieder abschütteln, die wie die Zecken das Blut der Völker aussaugen.“ Als solche galten ihm die Rockefellers oder die Rothschilds „und die ganzen freimaurerisch organisierten Tarnorganisationen, die ein Großteil unser Politiker-Attrappen über ihre Führungsoffiziere steuern.“[58]

Weniger konsequent war der Umgang mit dem baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon. Der vormalige Arzt hatte im zweiten Band seiner Triologie „Christlich-europäische Leitkultur“ über „Die Protokolle der Weisen von Zion“ gemutmaßt, dass sie keine Fälschungen seien. In dem Buch „Der grüne Kommunismus“ machte er das Judentum als „inneren“ und den Islam als „äußeren“ Feind des „christlichen Abendlandes“ aus. Die Gesinnung Gedeons war in der AfD offenbar schon seit langem bekannt.[59] Als sie zum Skandal wurde, setzte sich der Fraktionsvorsitzende Jörg Meuthen, der gleichzeitig einer der Bundessprecher der AfD ist, zwar von seinem Parteifreund ab, jedoch wollte ihm nur ein Teil der Abgeordneten folgen. Es kam zur Spaltung, allerdings steht eine baldige Wiedervereinigung bevor.

Dass Antisemitismus von Teilen der AfD geduldet wird, zeigt auch Hohmans benannte Rede in Köln, in der er Andeutungen über Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit der strafbaren Leugnung des Holocaust machte.

Doch deutlich wichtiger für die AfD ist der positive Bezug auf die Nation, der durch „eine einseitige Konzentration auf zwölf Unglücksjahre unserer Geschichte“ verstellt werde. Mit der Überhöhung der Nation gerät diese bei der AfD zur entscheidenden kollektive Form von Identitätsstiftung. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte dient dabei nicht mehr der kritischen Reflektion der Gegenwart, sondern vielmehr einer Verortung des Individuums in einem Narrativ der „deutschen Kultur“. Damit vollzieht die AfD die Abkehr von einer Form des Erinnerns in der Bundesrepublik, das die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in den Mittelpunkt stellt und wendet sich einer Erinnerungskultur zu, die im Prozess des nationbuildings im 19. Jahrhundert begann und die die Heldentaten der eigenen Nation betonte und damit zum Stützpfeiler eines „Gemeinsamkeitsglaubens“ (Max Weber) wurde. So ist auch die Rede von Björn Höcke zu verstehen, der auf einer Demonstration  im Mai 2016 in Paderborn erläuterte, dass die Deutschen über 70 Jahre lang Mahnmale gebaut hätten. Nun sei es an der Zeit, „endlich wieder Denkmäler zu errichten.“[60]

Ist die AfD rechtspopulistisch?

Es gibt nicht wenige Beispiele für Überschneidungen der AfD mit der extremen Rechten, also mit Organisationen, Medien und Personen, deren politische Perspektiven von Rassismus, Antisemitismus oder anderen Ungleichwertigkeitsvorstellungen (in unterschiedlicher Gewichtung) geprägt sind, die nach einer Homogenität des „eigenen Volkes“ verlangen und autoritären Gesellschaftskonzepten anhängen.[61] Das betrifft nicht nur die neuen Bundesländern, sondern auch Westdeutschland.[62] Dazu drei kurze Momentaufnahmen aus dem Demonstrationsgeschehen in NRW im Winter 2015/16: Die AfD marschierte am 16.11.2015 in Oelde (Kreis Warendorf), am 4.12.2015 in Salzkotten (Kreis Paderborn) und am 18.2.2016 in Siegburg (Rhein-Sieg-Kreis) auf – jedes Mal unter dem Motto „Asylchaos beenden“. In Oelde und Salzkotten angeschlossen hatten sich auch Anhänger der neonazistischen Partei Die Rechte aus Dortmund, Hamm und Ostwestfalen-Lippe. Neben den Slogans „Lügenpresse“ und „Wir sind das Volk“ wurde in Oelde die neonazistische Parole „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ skandiert. Der AfD-Kreisverband Warendorf begrüßte dies in einem Rückblick ausdrücklich. Bei der Demonstration in Salzkotten wurde die Parole dann direkt von einem Redner der AfD angestimmt. Eine trennscharfe Abgrenzung zu neonazistischen Akteur/innen war nicht erkennbar. Zudem führten Teilnehmer/innen ein großes Transparent des rassistischen und islamfeindlichen Blogs PI-News mit sich, welches im Fotorückblick des Kreisverbandes Paderborn präsentiert wird.[63] In Siegburg beteiligten sich (teilweise vermummte) Anhänger/innen der extrem rechten Identitären Aktion mit eigenen Transparenten sowie andere lokale Funktionäre von pro NRW oder der NPD. Die Demonstration wurde ebenso von Parolen begleitet, die von Neonazi-Aufmärschen bekannt sind.[64]

Der Kölner Kreisverband hingegen gilt als „zurückhaltend“ – aber auch hier sind Mitglieder (beispielsweise Funktionäre der Jungen Alternative) in neurechte Netzwerke eingebunden.

Die AfD als „Nazis“ zu bezeichnen wäre nicht nur strategisch, sondern auch inhaltlich falsch. Sowohl in den Medien wie auch in der Wissenschaft wird die AfD zumeist als rechtspopulistisch charakterisiert. In der Öffentlichkeit wird der Rechtspopulismus oft als eine „softere“ und „nicht ganz so extreme“ Form des Rechtsextremismus gedeutet. Ein Vergleich innerhalb der als „rechtspopulistisch“ gelabelten Parteienfamilie in Europa zeigt jedoch, dass sowohl extrem rechte wie auch rechtskonservative Gruppierungen sich rechtspopulistisch inszenieren. Dies legt den Schluss nahe, Rechtspopulismus vornehmlich als einen Stil zu bezeichnen oder darunter eine bestimmte Form der politischen Kommunikation zu verstehen, die von Moralisierung, Polarisierung und Personalisierung geprägt ist.[65] Doch sind dem Rechtspopulismus auch bestimmte Inhalte zu eigen, die ihn – trotz zahlreicher Überschneidungen und einer notwendigerweise unscharfen Trennlinie – vom Rechtsextremismus unterscheiden. Eine Orientierung kann das Schaubild geben, das an Alexander Häuslers Gegenüberstellung angelehnt ist.[66]

Eine Schwierigkeit der Definition liegt darin, dass Rechtspopulismus keine Substanz im Sinne eines zentralen, nur ihm eigenen Wertesystems hat – anders als die Hochideologien wie Sozialismus, Liberalismus und Konservatismus.[67] Im Zentrum steht die rechtspopulistische Basiserzählung von „Volk versus Elite“.[68] Cas Mudde spricht von einer „Ideologie, die davon ausgeht, dass die Gesellschaft in zwei homogene, antagonistische Gruppen getrennt ist, das ‚reine Volk‘ und die ‚korrupte Elite‘, und die geltend macht, dass Politik ein Ausdruck der volonté générale oder des allgemeinen Volkswillens sein soll.“[69]

Die eigentlichen Interessen des Volkes würden von den politischen und kulturellen Eliten nicht mehr vertreten werden – so lautet der Vorwurf. Die „Altparteien“ betrieben ein schmutziges Geschäft und hätten „den kleinen Mann“ vergessen. Entsprechend verstehen sich rechtspopulistische Akteure als Gegenmodell zum Typus des Berufspolitikers. Sie inszenieren sich als „antipolitisches Sprachrohr“, als Teil einer (Bürger)bewegung aus dem Volk. Die moralische Überlegenheit des Volkes schafft ein „jedem diskursiven Rechtfertigungszwang enthobenes Wissen über das, was recht und unrecht, wahr und falsch ist.“[70]

Der Populismus, und insbesondere der Rechtspopulismus spricht und handelt im Namen des „gesunden Menschenverstandes“, der auf konkreter, lebensweltlicher Erfahrung beruhe – eine Begründung durch Fakten oder Argumentationsketten ist daher gar nicht weiter notwendig. So greifen Rechtspopulisten in Abgrenzung zu denen, die sie als nicht zum Volk gehörig verstehen, vor allem solche Ressentiments auf, die bei einem Großteil der Bevölkerung zumindest latent vorhanden sind und kultivieren auf diese Weise zugleich klare Feindbilder. Je nach strategischer Ausrichtung, Gelegenheitsfenstern und aktuellen in der (medialen) diskutierten Deutungsangeboten rücken dabei „die Ausländer“, Feministinnen, „Brüsseler Eurokraten“, „Gutmenschen“, LSBTI (lesbische, schwule, bi-, trans- und intersexuelle Menschen), ethnische Minderheiten oder Muslime in den Mittelpunkt.

Mit Kampagnen gegen muslimische Geflüchtete bedienen Rechtspopulisten aktuell insbesondere einen kulturreligiös verklausulierten Rassismus. Einer westlichen, liberalen Kultur wird eine rückständige und fundamentalistische muslimische Kultur entgegengesetzt. Diese Kulturen werden, wie auch das Konstrukt von Völkern, im Rechtspopulismus als homogen, klar voneinander getrennt und letztlich miteinander unvereinbar imaginiert. Solche essentalisierenden Narrative, die klare Zugehörigkeiten zuweisen, sind eine Antwort auf die Komplexität und Unübersichtlichkeit moderner Gesellschaften. Den Modernisierungsschüben der Globalisierung wird rückwärtsgewandte Idealisierung einer Welt gezeichnet, in der „alles noch in Ordnung“ war.

Dabei ist das Versprechen von Sicherheit und Ordnung von zentraler Bedeutung. Konflikte werden vor allem auf eine vermeintlich kulturell-religiöse Differenz oder Mentalitätsunterschiede statt auf ihren sozialen Ursprung zurückgeführt. Die autoritäre Anrufung des Staates verheißt eine schnelle Problemlösung. Als Reaktion auf eine angeblich immer stärker zunehmende Kriminalität fordern Rechtspopulisten eine punitive Law-and-Order-Politik, die eine starke Polizei, weitere Befugnisse für die Behörden und eine Verschärfung des Strafrechts beinhaltet.[71]

Der Rechtspopulismus, so fasst Karin Priester zusammen, hat – trotz der Unterschiedlichkeit der verschiedenen Erscheinungsformen – einen gemeinsamen ideologischen Nenner: das „exkludierende Verständnis von Identität und deren Verteidigung gegen die Globalisierung.“[72]

Alle benannten Punkte des Rechtspopulismus treffen auf die Alternative für Deutschland zu. Allerdings ließen sich in weiten Teilen auch Merkmale der „traditionellen“ (extremen) Rechten für die AfD geltend machen. Als weitere Begrifflichkeiten stehen mehrere Alternativen im Raum: Von „Anti-Einwanderungspartei mit völkisch-nationalistischer Stoßrichtung“ über „ethnozentristisch-autoritär rechte Bewegungspartei“. Wie die Partei in Zukunft zu charakterisieren sein wird, ist bislang noch offen.

Und nun?

Dass die Auseinandersetzung mit dem antidemokratischen Gedankengut, dem Rassismus und der Menschenfeindlichkeit in der AfD notwendig ist, daran gibt es keinen Zweifel. Einigkeit über die Art und Weise der Auseinandersetzung besteht jedoch keineswegs. Eine inhaltlich entleerte Ächtung alleine wird für Politik und Zivilgesellschaft ebenso wenig zielführend sein wie ein unkritischer Dialog. Strategien gegen Rechtspopulismus müssen umfassend gedacht werden und auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Einige Vorschläge hierzu finden sich im letzten Newsletter des EL-DE-Haus-Vereins.

Hans-Peter Killguss ist Leiter der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln. Der Beitrag ist die Textversion eines  Impuls-Referats von Hans-Peter Killguss auf der Jahresversammlung des EL-DE Haus und wurde im Newsletter des EL-DE-Haus 09/2016 veröffentlicht. Wir danken für die Möglichkeit der Veröffentlichung.

Der Fußnotenverweis geht auf die Homepage von Hagalil.com wo der Artikel bereits veröffentlich wurde.